Jetzt werden wir mal für eine Stunde dümmer!

Am Montag, dem 11. Dezember verabschiede ich mich also von Bertl am Fuße des Kreischbergs. Schon während der Zeit in Innsbruck hatte ich Kontakt mit dem evangelischen Pfarrer aus Gröbming. Er war durch eine Mail auf meine Webseite gestoßen und hatte gedacht, das wäre doch etwas für seine Gemeinde. Wir hatten am Telefon vereinbart, dass ich mit dem Jugenddiakon der Gemeinde in die Religionsstunden mitgehe und sie gestalte. Auch den Konfirmandenunterricht sollte ich übernehmen. Ich war also in den Wochen davor schon am Grübeln, wie ich das denn am besten anstellen sollte und wie das wohl werden wird, so viele Workshops auf einmal. Ich rechnete mit um die 7 Workshops. 

Mit der Murtalbahn ging es zunächst nach Tamsweg. Mein Gepäck war etwas angewachsen, was das Reisen sehr unterhaltsam machte und auch interessant zu sehen, wie viele Leute mir halfen.

Von Tamsweg ging es dann mit dem Bus nach Radstadt. Mit dem Busfahrer ergab sich ein interessantes Gespräch. Wir unterhielten uns darüber, inwieweit der Busfahrer in der Erziehung von Kindern eine Rolle spielt. Er hat viel mit ihnen zu tun, denn er fährt viel mit Schulbussen. Oft nerven sie ihn, wenn sie die Haltetaste drücken, ohne aussteigen zu wollen. Das bringt ihn auf die Palme. Oder wenn sie ihn irgendwie verhöhnen wollen. 

Wir unterhalten uns lange über sehr vieles, er hat eine sehr verfestigte Meinung über vieles. er macht viele Witze, aber man merkt doch, dass er nicht wirklich froh ist, das sagt er auch. Es wirkt, als erwarte er nicht viel vom Leben. Und doch hat er schon vieles geschafft. Er kommt aus einer Umgebung, die nicht wirklich liebevoll war. Kam in Cliquen, die nicht wirklich Gutes im Sinn hatten und dann brach er damit und ging fort um anders zu leben, ehrlicher. Und er kämpft damit, ehrlich und glücklich zu leben. Hoffentlich schafft er es immer mehr.

 

In Radstadt steige ich in den Zug nach Schladming, von dort aus geht es dann mit dem Bus nach Gröbming. Gröbming ist ein großer Ort in der Nähe von Schladming. Es gibt eine Mittelschule, Kindergarten, Volksschule, Musikschule, Landwirtschaftsschule, 2 Kirchen, eine Reha-Klinik,... Es liegt wundervoll eingebettet ein wenig erhöht über dem Ennstal am Fuße des Stoderzinken.
Als ich dort ankomme, warte ich ein wenig, bis ein Mann mit Lächeln im Gesicht mich von der Bushaltestelle abholt. Es ist Pfarrer Manfred. Wir verladen meine Sachen und fahren zum evangelischen Pfarrhaus, wo ich während dieser Woche wohnen soll. Dort stellt er mir seine Familie vor. Zuerst seine Enkel. Julia (6), Tim (4) und Phillip (2). Und seine Tochter Miriam. Seine Frau sehe ich leider nicht, denn sie ist Pfarrerin einer anderen Gemeinde, die etwas weiter entfernt liegt und wo sie auch wohnt, nur montags kommt sie zu Besuch.

Dann treffen wir noch Schwester Waltraud, die auch im Pfarrhaus wohnt und für viele Bereiche in der Gemeinde zuständig ist. 

Das Gästezimmer ist wunderbar hell und man sieht durch das Fenster den Hausberg von Gröbming, den Stoderzinken. 

Manfred erzählt mir gleich zu Beginn seine Geschichte. Als er 21 war, war er auf dem besten Weg Steuerberater zu werden. Doch da sprach ihn in einer Fußgängerzone jemand an und fragte: "Hat dein Leben einen Sinn?" Das traf ihn und warf ihn aus seiner geplanten Bahn. Nun suchte er nach Sinn und für sich hat er ihn in Gott gefunden. In der Arbeit darin, Menschen Hoffnung zu machen, dass das Leben schön ist. Nun ist er schon seit 25 Jahren Pfarrer von Gröbming. ich erlebe ihn als geduldigen, entspannten, neugierigen und kreativen Menschen, der stets bereit ist mir zu helfen und gespannt war, meine Geschichte zu hören. 

 

Am Abend dann lerne ich Jan kennen. Er ist der Jugenddiakon der Gemeinde und somit verantwortlich für die Jugendarbeit. Zu seiner Arbeit gehört es auch, evangelische Religionsstunden in den Gröbminger Schulen zu halten. Er bringt mich zu seiner Familie, wo ich diese Woche immer wieder zu Abend esse. Ich lerne Jenny, Jan's Frau, kennen. Eine aufgeweckte, neugierige und lustige Frau. Und ich lerne die beiden Kinder kennen: Jonas und Jael. Sie sind so aufgeweckt und als wir mit Jonas spielen, fragt er mich: "Was macht man eigentlich bei einem Clownförkschop?" Er hatte von Jan schon ein paarmal gehört, warum ich hier bin und war neugierig. Wir spielten noch einige Zeit.

Wenn man in Jonas' Augen sieht ist es fast so, als würden sie sagen wollen: Hey, bist du genauso neugierig wie ich? Ich mag dich, was denkst du wohl? Man kann viel von ihm lernen.

Und Jael's Lachen, sie ist knappe 2 Jahre alt, ist ein Strahlen, das keine Grenzen zu kennen scheint. Später bringt Jan mich nach Hause ins Pfarrhaus. 

  

Der Hausberg von Gröbming, der Stoderzinken, rechts das evangelische Pfarrhaus
Der Hausberg von Gröbming, der Stoderzinken, rechts das evangelische Pfarrhaus

Der erste Morgen in Gröbming beginnt mit dem Frühstück bei Schwester Waltraud. Sie ist eine gerade, entspannte und schwungvolle Frau. Früher unterrichtete sie Religion in den Schulen der Umgebung und war im Hospizbereich sehr lange tätig. Es entspinnen sich während der ganzen Woche interessante Gespräche am Frühstückstisch. 

Danach lese ich ein wenig in einem sehr empfehlenswerten Buch. „Der wilde Mann“ von Richard Rohr. 

Am Nachmittag dann holt mich Jan ab. Wir haben einen Termin in der Gröbminger Klinik. Wir hatten angefragt, ob wir mit einer kleinen Gruppe Clowns in die Klinik kommen dürften. Nun hatte die Klinik uns eingeladen, die Idee etwas genauer vorzustellen. In den Tagen davor war ich dieses Gespräch oft in Gedanken durchgegangen, hatte Argumente für uns gesucht und sie aufgeschrieben, denn ich erwartete eine eher angespannte Stimmung und viele skeptische Fragen. Wie falsch ich lag.

Vor uns saßen drei sehr neugierige Menschen. Wir stellten unsere Idee vor: Am Freitag dieser Woche wollten wir mit einer Gruppe von Schülern als Clowns in die Klinik kommen, die Leute in ihren Zimmern besuchen, ein wenig Zeit mit ihnen verbringen und versuchen, ihnen gut zu tun. Da drehte sich die Frau, die offensichtlich die Leiterin zu sein schien zu den anderen um und fragte schließlich: „Also, machen wir das?“ 

Ich war sehr gespannt. „Ja, das versuchen wir jetzt einfach, wir hatten das zwar noch nie, aber wir versuchen es.“ Also war es beschlossen. Am Freitag sollten wir um halb 2 in der Klinik sein. Wir stolzierten aus der Klinik mit dem Gefühl etwas Tolles auf die Beine gestellt zu haben. Danach zeigt Jan mir die Schulen, in denen die Workshops stattfinden werden. Zuerst fahren wir in die Fachschule, wo uns die Direktorin auf einen Tee in der Cafeteria einlädt. „Na da werdn’ si die Mädls aba frein, wenn so a fescha Bua zu iana kummt!“ (Anmerkung: In diese Schule gehen zum Großteil Mädchen, aber es gibt auch einige Burschen)  meinte die Direktorin. Doch Heiratsanträge und das große Anschmachten blieben in dieser Woche zu meiner Überraschung aus. 

Wir sehen uns noch die Neue Mittelschule an und dann bringt Jan mich Heim. Nach dem Abendessen bei Jan gehe ich durch den Schneefall Heim. Was für ein toller Tag und was mich wohl morgen erwartet...

 

Es ist Mittwoch, die Workshops stehen an. Für den ersten Tag sind 7 Stunden Workshops geplant. Schon in den Wochen davor hatte ich mich darauf vorbereitet, die Inhalte so strukturiert, dass sie in eine 1 bzw. 2 stündige Unterrichtseinheit passen. 

Ich bin gespannt und nervös. Wird alles gut laufen? Wie werde ich bei den Schülern ankommen? Wie werden die Übungen funktionieren. 

Die erste Unterrichtseinheit findet bei den Kindern statt, die in die Sonderschule gehen. Hier war etwas unklar, welche Kinder dabei sein würden. Der Workshop sollte sich dann eher spontan an die Kids anpassen. Und das funktioniert mal mehr mal weniger in dieser Stunde. An ein Mädchen erinnere ich mich noch sehr genau. Sie war die kleinste in der Klasse und hatte ein Lächeln und Strahlen im Gesicht, wenn sich unsere Blicke trafen, das mich richtig fröhlich machte. Eine aufgeweckte Freude sah mir entgegen. Sie wurde von einer Lehrerin 1 zu 1 betreut, die oft meinte, sie würde nicht wirklich die Übungen und Spiele mitmachen, doch wenn ich sie ansah, dann wusste ich, dass sie mich verstand.

Dann ist die erste Stunde um. Nach 2 Stunden Pause geht es dann zur 3. Klasse der Neuen Mittelschule. 

Der grobe Aufbau des Workshops ist:

 

 

Begrüßung

Eine Runde im Kreis laufen und jeder kann sich von allen ein High Five holen 

Gegenseitiges fröhliches Begrüßen

Bewegung zu Musik

Zu zweit spielen (Bockspringen, Fangen, Tanzen, Verbeugen...)

Nase aufsetzen und experimentieren

Ein kurzer Filmausschnitt aus dem Film Patch Adams

Dann noch ein paar Worte über die Philosophie des Clowns

Finito

 

Ich kann mich nicht genau an alle Workshops erinnern, nur einzelne Momente haben sich in meine Erinnerung gebrannt. Immer spannend war die Gruppendynamik.

Die Clownworkshops sind doch sehr konträr zum sonstigen Unterricht. Es ist fast alles erlaubt. Dumm sein ist gut und Fehler machen wird hoch gelobt. Darauf reagieren nicht alle freudig. Zu Beginn ist es meist ein Abtasten zwischen mir und den Schülern. Vor Allem in den Schülern merkt man manchmal die Unschlüssigkeit, ob sie dafür nun bereit sind oder nicht. Es bilden sich Gruppen, die voll dabei sind und genauso welche, die sich abseits aufhalten und eher herumstehen, weil ihnen das zu schräg ist. Manchmal schafft es eine Gruppe einen Unschlüssigen mitzureißen, entweder dazu zu begeistern mitzumachen, oder dazu, skeptisch an der Wand zu stehen. 

Sehr gut erinnere ich mich an einen Moment, in dem ein Junge der ersten Klasse sagte: „Das ist mir zu peinlich, da mach ich nicht mit!“ Und er entfernte sich von uns, erwartend, dass andere ihm folgen würden. Doch keiner folgte ihm und innerhalb von ein paar Sekunden war er auch schon wieder voll dabei. 

Auch war da ein Moment in der 4. Klasse. An einem Punkt des Workshops breite ich rote Nasen auf dem Boden aus und sage, jeder der möchte darf sich eine nehmen.

In dieser Klasse rührte sich keiner. Nach sehr langen 5 Sekunden dann aber bewegte sich ein Mädchen auf die Mitte zu. Sie war mir in der vorigen Minuten aufgefallen, weil sie eher wenig Anschluss zum Rest der Klasse hatte, sie wirkte sehr reif und selbstständig. Sie nahm sich die Nase. Und da waren auch schon 3 oder 4 mehr, die es auch probieren wollten. 

 

Nach den 2 Stunden mit den 2 dritten Klassen geht es nach einem Mittagessen bei Jan, Jenny, Jonas und Jael in die Fachschule. Dort erwarten uns 20 17-jährige Mädchen. Eigentlich eine Gruppe, vor der ich ziemlich unsicher dastehen sollte. Und vor denen sollte ich mich nun zum Affen machen? Ich tat es. Springe herum, tanze und versuche zu motivieren. Manche sind dabei, einige bleiben auf Distanz.

Am Ende, als ich die Philosphie dahinter versuche zu erklären, drehen sich ein paar Mädchen zu Jan um. "Was soll das denn alles?! Ein Turnsaal ist doch kein Museum (Anm.: als Clowns führt einer immer durch den Raum und erzählt begeistert von den Dingen darin). Und das alles hat doch gar nichts mit Bildung zu tun!"

Es stimmt, es hat wenig mit Bildung zu tun. Am ersten Tag hielt ich mich noch sehr fest an dem, was wir Bildung und lernen nennen. Ich gebe eine Übung vor, wenn ihr mitmacht und es so macht, dass es mir gefällt, ist es richtig und ich kann zufrieden sein. Am zweiten Tag dann geht mir das ein wenig auf. Ich darf und soll anders sein. Die Schüler sollen dazu ermutigt werden, sich freier zu fühlen, sich beim Lernen auszutoben. Von dem Zeitpunkt an sinkt die Anspannung bei mir während der Workshops. Meine Erwartung steht nicht mehr zwischen mir und den Schülern. Ich kann sie so bejubeln, wie sie einfach sind, wie sie einfach tun. Und siehe da, irgendwie scheinen sie den Übungen plötzlich viel lieber zu folgen. Sie merken, dass ich sie nirgends wo mehr hineinpressen will, sondern, dass ich sie herausholen will. Diesen Schritt brauchen wir in unserer Pädagogik. Ein Schritt zurück aus Druck und Zwang hin zu einer ehrlicheren Beziehung zwischen Lehrern und Schülern. Bisher stand dem der Blick des Lehrenden im Weg, der sich nur dann bestätigt fühlte, wenn der Schüler es richtig machte. Schafft man es aber genug Selbstvertrauen aufzuwenden und geduldig zu sein, dann erreicht man einander auf einer viel entspannteren und lernbereiten Ebene. Mehr, als ein Lehrer die Schüler lehrt, muss er für sich selber lernen. An sich, im Umgang mit Menschen, im Umgang mit sich selbst. Und er sollte überzeugt sein, dass das, was er den Schülern lehrt, wichtig ist. 

 

Am Abend dann steht der Workshop mit den Konfis aus Steinach an. Die Stimmung ist ganz anders, die Gruppe sehr klein und eher lose, das heißt, sie kennen sich untereinander nicht so gut, wie die Schulklassen. Da ist improvisieren gefragt, und es hat dann auch großteils funktioniert. Am Schluss dann, fällt mir ein Gedanke aus dem Mund, den ich schon öfter hatte. Kurz bin ich verunsichert, ob er hier her passt, und wie Jan damit umgeht. "Ich denke, auch Jesus war ein Clown."

Damit können die Konfis zunächst nicht so viel anfangen. "Naja, er traute sich, Dinge anders zu sehen, sie auf den Kopf zu stellen. Wenn er sagte, 'Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, halt ihm auch die Linke hin' werden viele Leute über ihn gelacht haben, weil das so anders war, als es die Leute gewöhnt waren. Weil Rache ein legitimes und anerkanntes Mittel war. Er sah die Welt, die Menschen in einem anderen Licht. Schöner. Dadurch bekam er wohl einige Schwierigkeiten, doch er hat die Dinge auf den Kopf gestellt und die Welt dadurch schöner gemacht. Das macht ein Clown." 

Dann ist der erste Tag mit Workshops vorbei. Ich bin streichfähig und falle ein wenig verwirrt ins Bett.

 

 

Am Donnerstag hat die Direktorin der NMS mich eingeladen, die große Pause für die Lehrer zu gestalten. Zum Aufwärmen tanzen wir Sirtaki durchs Konferenzzimmer. Dann ist die Herausforderung für die Lehrer: "Setzt euch eine Nase auf und versucht euch selbst im Klassenzimmer zu parodieren." Die Direktorin steigt auf einen Sessel, eine Lehrerin erzählt eine Geschichte und ich springe wie ein vom Blitz getroffener durch den Raum. Die meisten Lehrer bleiben distanziert. Schade, aber ich wusste, dass dies eine schwierige Übung sein würde. 

Danach lerne ich Rachel kennen, die Sozialbetreuerin der Schüler der NMS. Sie organisiert jede Woche einmal die bewegte Pause, wo sie sich mit Schülern vor dem Konferenzzimmer trifft und mit ihnen einen Tanz einstudiert. Danach geht es in die vierte Klasse. Bei der High Five Runde bin ich so übermotiviert, dass ausrutsche und in die Schüler, die im Kreis stehen, hineinfalle. Alle Lachen. Unwillkürlich muss ich an eine Geschichte denken, die ich in Innsbruck gelesen habe:

Ein junger Pfarrer sollte in einem Gefängnis zu den Menschen sprechen. Er war verunsichert und grübelte wochenlang darüber nach, was er den Menschen sagen sollte. Bis dann der Tag kam und er ins Gefängnis ging. Verschüchtert betrat der zarte Mann den Raum in dem lauter raue, muskelbepackte und tätowierte Genossen sich eingefunden hatten. Fast ging er unter in der Menschenmenge, dann machte er sich auf den Weg zur Kanzel. Bei der 2. Stufe hinauf stolperte er über den Absatz und fiel mit einem lauten Knall auf die Nase. Die harten Typen brachen in schallendes Gelächter aus. Da sprang der junge Pfarrer auf und lief die letzten Stufen zur Kanzel hinauf und rief:

"Männer, ihr seht, wenn man hingefallen ist, kann man immer wieder aufstehen!" 

So stand ich auf. 

 

Am Nachmittag ist dann die Kinderstunde im Pfarrhaus am Programm. Cirka 15 Kinder sind da. Ein Clown ist angekündigt worden, diese Erwartungen, die mit einem Clownauftritt rechnen, muss ich enttäuschen. Zuerst liest Bianca, die Religionslehrerin und verantwortliche für die Kinderstunde eine Weihnachtsgeschichte vor. Dann ist der an der Reihe, den die Kinder in der Runde stets schon gefragt haben: "Bist du der Clown?" Wir sprangen herum, setzten Nasen auf, spielten und hatten Spaß, die Zeit verging schnell. Dann ist es aus.

Die Enkelin des Pfarrers hatte mir erklärt, sie könne mit einem Zirkustuch im Gemeindesaal Luftakrobatik machen. Das wollte ich sehen. Als alle Kinder fort waren montierten wir das Tuch an der Decke und dann legte Julia los. Sie kletterte hoch, drehte sich, flog herum. Wie wunderbar. Tim, Julia's Bruder, und ich wollten es auch versuchen. Wir flogen damit im Raum herum, spielten damit fangen und erfanden allerhand Spiele. Am Abend hat Jan zu selbstgemachter Pizza und Kartenspiel eingeladen. Es wird ein schöner Abend.

 

Freitag. Der letzte Workshoptag. Ich hatte mich unglaublich auf ihn gefreut und mich sehr davor gefürchtet. Es war mir wohl wichtig, dass das gut geht. Und das sollte es auch. Es war der intensivste Tag der Woche.

Am Morgen beginne ich in der ersten Stunde in der ersten Klasse NMS. Ich beobachte, dass, desto jünger die Kinder sind, desto schneller lassen sie sich auf die Themen ein. Nach ein paar Stunden Pause dann geht es zur Fachschule, wo 30 fünfzehn bis sechzehnjährige bereits warten. Vor ihnen hatte ich den größten Respekt. Ich dachte, in diesem Alter würde es sicher vielen schwer fallen, aus sich heraus zu gehen. Das stimmte nur zum Teil. Vor Allem, wenn ich Volksmusik aufdrehte, sprangen sie wie wild durch den Raum. 

Am Ende dann hatte ich wirklich das Gefühl, dass viele offen waren, für die Themen des Workshops. Verspieltheit, Offenheit, Menschlichkeit.

So zeigte ich auch ihnen, wie allen anderen Gruppen zuvor, dieses Video...

 

Die Frage, die ich dann stelle ist: Was ist passiert?

"Er hat sie glücklich gemacht."

"Er hat eine Nase aufgesetzt."

"Zuerst waren sie traurig, aber weil er lustig war, waren sie am Ende fröhlich."

Meinten die Schüler.

 

Genau! Er hat sie glücklich machen können, denn er hat mehr getan, als ein Arzt heutzutage tun muss. Er hat sich getraut eine Brücke zu schlagen. Eine Beziehung zu den Kindern aufzubauen, indem er auf sie eingeht, sich Zeit nimmt und mit auf eine kleine verrückte Fantasiereise nimmt, die die Welt wieder füllt mit Wundern und Freude. Es funktionierte ganz einfach. Er brauchte nur ein paar Werkzeuge, aber das wichtigste war, dass er sich Zeit nahm, dass er die Beziehung zu den Kindern suchte und die Angst überwand, dass er ausgelacht werden würde.

Er trat einen Schritt aus seiner Komfortzone, aus dem Gebiet, wo alles sicher ist, wo er alles kontrollieren kann. Er konnte nicht wissen, wie die Kinder auf ihn reagieren würden, aber er tat es. Und es endete wunderbar. Wer kann sich nicht vorstellen, was für ein unglaubliches Gefühl von Glück ihn überkommen haben muss, als er merkte, dass die Kinder lieben, was er tut. Dass sie dabei sind und nun die Brücke betreten, die er zu ihnen gebaut hat.

Und habt ihr bemerkt, was die Krankenschwester am Ende der Szene macht? Sie weiß nicht recht, was sie tun soll. Man kann es ihr nicht übel nehmen, es ist die Struktur im Krankenhaus, die es ihr schwer macht, freier damit umzugehen, entspannter. Ihr seht, die Strukturen, in denen wir leben sind nicht perfekt und in Stein gemeißelt. Wir sollen Dinge immer wieder neu sehen. Clowns sind die Vorreiter dabei, denn so viele, die die Welt schöner machen wollen, die Dinge anders machen wollen, werden anfangs belächelt und kritisiert. 

Von uns jungen Menschen wird gefordert, dass wir Visionen haben, dass wir Dinge anders machen, als unsere Eltern. Traut euch mit euren Vorstellungen von Leben schöner zu werden, das Leben ist schön gemacht, man sagt uns nur oft, dass es schwer und langweilig sei. 

Das ist es gewiss nicht, mach nur die Augen auf. Und wenn das nichts hilft setzt eine Clownsnase auf und werdet mal verrückt. 

 

Gleich nach dem Workshop eilten Jan und ich zur Klinik. Dort trafen wir die neun Jugendlichen, die sich freiwillig bereiterklärt hatten als Clowns die Menschen der Klinik zu besuchen. Nach jeder Stunde eines Workshops hatten wir die Schüler dazu eingeladen. In vielen Klassen war die Begeisterung nur mäßig, wieder waren ein oder zwei dabei, die gerne wollten, sich aber dem Druck der Gruppe ergaben. Dann waren da wiederum in anderen Klassen Schüler, die gleich aufsprangen um zu signalisieren: "Coole Idee, wir sind dabei!"

So waren wir nun in der Eingangshalle der Klinik. Es ist eine Reha Klinik, die fast ausschließlich von Leuten mittleren, bis älteren Alters genutzt wird, keine Kids, das wird interessant. Eine kleine Gruppe bunt angezogener junger Menschen wurde nun von Christoph, einem der Leiter der Klinik, herzlich in Empfang genommen. Und schon ging es los.

Wir grüßten alle Menschen auf den Gängen, galoppierten durch Stationen und tanzten. Wir betraten einen Gymnastikraum, wo sich manche Jugendliche auf die Laufbänder warfen, andere mit Gymnastikbällen spielten und so ein wenig zu den Leuten durchdrangen, die gerade hier trainierten. Zunächst war die Situation etwas komisch. Wir wussten nicht, ob wir willkommen waren, oder nur als Störenfriede gesehen werden würden, die auf Kosten der Menschen dort ihren Spaß haben wollen. Zum Glück waren die Menschen bereit mit uns zu reden und mit uns zu scherzen. In einem Therapieraum treffen wir eine Frau, die im Rollstuhl sitzt. Man sagt uns, sie habe sich schon die ganze Woche auf uns gefreut. Wir spielen Weihnachtslieder auf der Ukulele und der Mundharmonika und sie singt mit einem Staunen und einem Strahlen im Gesicht mit. Einem Mann, der dahinter sitzt läuft eine Träne über die Wange. 

Meist betreten wir die Zimmer singend, stellen uns vor, fragen nach den Namen, nach dem, was die Menschen gerne tun und wie es ihnen geht. In einem Zimmer fragen wir eine Dame, wie sie sich denn Weihnachten vorstellt. Sie meint: "Ja mit der Familie und.." da versagt ihr die Stimme wir merken, wie sie mit sich ringt. Es wird dieses Weihnachten wohl nicht so sein, wie sie es sich sehr gewünscht hätte. Sie ist in der Reha Klinik, weg von ihrer Familie. Wir versuchen mitfühlend zu sein, fragen, ob wir ihr noch ein Weihnachtslied singen dürfen. Wir singen "Es wird scho glei dumpa". Da beruhigt sich etwas in ihr. Die Jugendlichen sagten später, das war für sie der spannendste Moment unseres Besuches. 

Nach 2 Stunden in der Klinik und einer kurzen Trinkpause sind einige Jugendliche streichfähig, ein paar scheinen aber unermüdlich zu sein in dieser Tätigkeit. Wir verabschieden uns von einigen und ziehen noch durch ein paar Zimmer.

Dann endet unser Besuch. Christoph scheint sehr glücklich und zufrieden zu sein. Er lädt uns auf einen Kakao ein, ein paar der Menschen aus der Klinik, die wir im Zimmer besucht hatten sehen uns und besorgen uns Schokolade. Sie wollen uns irgendetwas zurückgeben. In ihren Blicken kann man noch immer ein wenig das Staunen und die Fröhlichkeit erkennen, die wir bei ihnen ausgelöst haben. 

Danach liefern ein paar Jugendliche und ich uns noch eine wunderbare Schneeballschlacht vor der Klinik. Was für ein toller Abschluss.

Durch den dichter werdenden Schneefall gehen wir durch Gröbming, bis sich unsere Wege trennen.

 

Was war das für eine volle und wunderbare Woche! Voller Lektionen & Herausforderungen, voller Leichtigkeit & wirklicher Freude.

 

 

 

 

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Kommentare: 5
  • #1

    Maggie (Dienstag, 20 Februar 2018 23:37)

    Lieber Flo,
    ich hab mir gedacht, ich muss mal wieder auf deinen Blog schauen, um herauszufinden, wo du grad bist und was du so treibst. Und da finde ich so viele lustige, spannende, unglaubliche Geschichten...Wahnsinn! Ich bewundere deinen Mut, deine Fröhlichkeit und deinen Optimismus. Was du erzählst, inspiriert und öffnet die Augen für die kleinen großen Dinge des Lebens. Ich wünsche dir weiterhin wunderbare Erfahrungen auf deinem Weg und freu mich schon auf deinen nächsten Blogeintrag!
    Liebe Grüße aus Wien,
    Maggie
    PS: Jesus war ganz bestimmt ein Clown, danke für diesen Gedanken!

  • #2

    Cringe (Mittwoch, 21 Februar 2018 17:11)

    Toller Beitrag! Bitte mehr davon, würde mich, und ich denke viele andere auch, interessieren, was du sonst noch so getrieben hast jetzt im Jänner/Feber ;)

  • #3

    Florian (Mittwoch, 21 Februar 2018 17:37)

    Liebe Maggie,
    Wie schön von dir zu hören! Es freut mich so zu lesen, dass du den Blog liest. Und ich danke dir für deine Gedanken dazu. Hab wundervolle Tage in Wien!


  • #4

    Florian (Mittwoch, 21 Februar 2018 17:39)

    Lieber oder Liebe Cringe!
    Danke für das Feedback, ich hinke ein wenig hinterher, es ist viel los (:

  • #5

    Papa (Samstag, 03 März 2018 08:07)

    Mein lieber Flo. Habe schon mal geschrieben. Habe deinen Blog gelesen und geweint und gelacht. Und jetzt gilt das wieder. Es ist ein Wunder was du machst, denkst, siehst, spürst erlebst und bewegst. Ich bin sehr bewegt von dem allen. Und ich bin dankbar sehr dankbar. Und spüre Freude und Lebendigkeit. Das löst du aus. Ich bin in Gedanken oft bei dir. Papa