Hey ich bin Florian, dein Skilehrer

Hey ich bin florian, dein skilehrer

 

Ich bin 15 Jahre alt und liege auf meinem Bett. Es ist draußen dunkel geworden und ich schaue aus dem Fenster. Wir sind mal wieder auf Skikurs, es ist 2012. Unter meinem Fenster liegt Altenmarkt im Licht der Straßenlaternen, in ihrem Schein sehe ich dicke Schneeflocken tanzen. In der schwarzen Ferne sieht man auf einem Berg Lichter auf und ab fahren. Pistenraupen. 

Wie schön ist es doch hier. Immer wenn ich hier bin fühle ich mich wohl. Ich träume davon hier länger als nur eine Woche zu bleiben. Hier zu leben. Ich frage mich, welches Skigebiet wohl da im Dunkeln liegt. Bis es mir dämmert: Das ist Radstadt.

 

"Radstadt Skischule sucht Skilehrer für Saison 2017/18"

Oft werden Träume wahr. Es ist November 2017 als ich diese Anzeige lese. Sogleich ist alles vereinbart. Am 15. Dezember komme ich an. Bernd, der Chef der Skischule heißt mich willkommen und kleidet mich ein. Der rote Skianzug der Skilehrer von Radstadt. 2 Holländer namens Wouter und Timo begrüßen mich. Sogleich nehmen sie mich mit auf eine Tour durchs Skigebiet, damit ich die Pisten kennenlerne. 

 

Das Skigebiet Radstadt-Altenmarkt
Das Skigebiet Radstadt-Altenmarkt

 

Am nächsten Tag ist mein erster Arbeitstag. Der sieht im Grunde so aus:

Treffpunkt ist gegen 9 Uhr in der Skischule. Gemeinsam bauen wir das Kinderland, also den Bereich wo die Kleinen das Skifahren lernen, auf. Das dauert cirka 20 Minuten. 

 

Dann hängt es davon ab, ob man gerade Kinderkurse oder Privatstunden fährt. 

Kinderkurse beginnen um 10 Uhr. Langsam trudeln die Eltern mit den Kids ein. Ich war diese Saison, wenn ich Kinderkurse fuhr, meist für die Fortgeschrittenen Kids verantwortlich. Das ist ein sehr dankbarer Job. Mit diesen Kindern kann man nach oben fahren und das ganze Skigebiet erkunden. Waldwege entdecken, Funparks fahren, Zeitmess-Strecken runterjagen. Und dabei lernen sie auch hoffentlich noch etwas. Man sieht sich die Kids ein wenig an, gibt Tipps und baut Übungen während den Fahrten ein, die dem ein oder anderen helfen werden, leichter den Berg runterzukommen. Doch viel wichtiger als das Ausbessern und Übungen machen ist der Spaß. Die Kids interessiert es nur mäßig, eine Hand in die Hüfte zu stützen und die andere nach vorne zu halten, oder ewig eine perfekt parallel-gefahrene Kurve zu üben. Kinder lernen am meisten, wenn sie begeistert sind von den Dingen, die sie tun. Der Skilehrer ist der, der die Gruppe führt. Für ihn ist es wichtig im Hinterkopf zu behalten, dass die Kinder hier in ihren Ferien sind, dass sie endlich mal wieder draußen sind, sich bewegen und das Skifahren genießen wollen. Es ist dieser Spagat zwischen dem Spaß und dem Dazulernen, der das Skilehrer-Sein sehr ausmacht und von dem es abhängt, ob die Kinder mit Freude dabei bleiben. Es geht viel um Geduld.

Ein Beispiel:

Schon Wochen vorher sprach der Chef der Skischule davon, dass wir Ende Januar mit Kindern mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung fahren würden. Wir hatten eine kleine Einschulung, wie wir mit den Kindern umgehen konnten, dann ging es los, jeder von uns bekam für 2 Stunden am Vormittag einen Schüler. Das machte das ganze um einiges entspannter.

Ich hatte einen Jungen von ungefähr 12 Jahren. Er konnte sich nicht wirklich durch Sprache ausdrücken und ich war mir nie sicher, ob er verstand, wenn ich mit ihm sprach. Doch wir verstanden uns. Ich hielt ihm meine Hände hin und wenn er bereit war, dann nahm er sie. Wir fuhren diese Woche nur am Tellerlift. Beim liftfahren drehte ich mich um und fuhr verkehrt nach oben, so konnte ich ihn sehen und wir kommunizierten auf anderen Wegen als Sprache miteinander, wir sangen und tanzten beim Liftfahren. Oben wartete ich stets, denn er ließ den Teller nicht los. Sobald ich aber seine Hände berührte ließ er den Teller los. Dann fuhren wir nach unten, ich rückwärts vor ihm, er hielt meine Hände. Den Pflug konnte er schon. Die Aufregung war ihm ins Gesicht geschrieben, während wir fuhren, er lachte, tat mit seinen Händen so, als würde er fliegen. Und ich flog mit. Wir hatten soviel Spaß dabei die Piste hinunter zu fliegen. Es war unglaublich, wie gerne ich ihn schon nach den ersten Stunden hatte, wir verstanden uns. Vielleicht gerade deswegen, weil wir uns nicht durch Sprache verständigen konnten. Es war wichtig, dass er mir vertraute, Das hieß für mich: Geduldig sein, ruhig sein und klar rüberbringen, was wir jetzt tun, ihm dabei in die Augen sehen, ein bisschen was von mir zeigen.

Am Beginn der Woche sagte unser Chef: "Wenn euer Schüler am Ende der Woche alleine den Hügel runterkommt, habt ihr ihm eine Riesenfreude gemacht." Das fiel mir nun wieder ein, da verflog meine Entspanntheit und Freude. Ich machte mir Druck, er müsse doch mehr lernen, besser werden, damit er alleine fahren kann. Doch irgendwie konnte ich dem Ganzen widerstehen und einfach weitermachen, entspannt und ruhig. Irgendwann wird er es schon machen, ich setze ihn jetzt sicher nicht unter Druck. Er ist hier draußen, tut etwas, das er ganz selten macht, etwas für ihn so Außergewöhnliches. Es muss nicht mehr sein. So fuhren wir dann die ganze Woche zusammen, Hand in Hand. Und genossen, dass wir einfach gemeinsam Ski fuhren. Bis dann am Ende der Woche etwas passierte, das mich in Staunen und Begeisterung versetzte. Wir waren mal wieder oben ausgestiegen und begannen zu fahren. Und plötzlich lässt er meine Hände los. Und er fährt, und wie er fährt, er macht Kurven und fährt kontrolliert nach unten. Bis zum Lift. Ohne jede Hilfe. Ich feiere, tanze und singe.

Er hat es geschafft. 

Dieses Erlebnis half mir ein besserer Lehrer zu werden. 

 

Es hatte seine Gründe, dass ich nicht wie geplant am 1. Februar weiter in ein anderes Skigebiet zog, sondern bis jetzt, also bis zum 16. März blieb. Das Skilehrer-Sein ist zwar überall dieselbe Aufgabe und Motivation. Doch hier passte irgendwas sehr gut für mich. Es waren die Leute um mich herum, die ich sehr genoss. Wir Skilehrer lebten in einem Haus 2 Kilometer von der Piste entfernt, eine Distanz die ich oft und gerne zu Fuß ging. Wir kochten zusammen, schauten alle Teile von "Herr der Ringe", gingen in die Therme in Altenmarkt, hatten die ein oder andere längere Nacht in Flachau beim Aprés-Ski, schauten Sonnenuntergänge, gingen skifahren in unseren Pausen, gingen Nachtskifahren, gingen vor der Arbeit skifahren, gingen nach der Arbeit skifahren, saßen zusammen in der Bar neben der Talstation, tanzten wie wild...

Wir wurden ein Team. Skilehrer sind interessante Leute.

 

Denn vor Allem die Leute die für die ganze Saison blieben, mussten irgendwie aus dem "normalen" Lebensrhythmus draußen sein. Leute die versuchen anders zu leben, die nicht wirklich wegen dem Geld hier sind, denn wegen dem Geld wird man nicht unbedingt Skilehrer. Sondern, weil sie das Leben als Skilehrer schätzen. Das Aktiv-sein, das Lehren, den Winter, die Menschen im und um das Skigebiet. Es waren unter uns Lehrer, die vorher einen sehr gut bezahlten Job hatten, der sie aber nicht glücklich machte. Diese Leute bewunderte ich sehr, sie hatten den Schritt von der Sicherheit ins Ungewisse gesetzt, um in ihr Leben mehr Leben reinzupusten.

In den Ferienzeiten kamen dann einige Skilehrer, die studierten dazu. 

 

Wenn man den ganzen Tag miteinander verbringt, ist es wichtig, immer wieder Dinge alleine zu machen. So schaffte ich mir Freiräume indem ich zum Volleyballtraining in Altenmarkt ging, zu Fuß zur Arbeit ging, statt mit den anderen im Auto zu fahren, ins Kaffeehaus ging, langlaufen ging, eine Skitour machte, mit dem Radsädter Skiclub Riesentorlauf mit trainierte, einmal nach Gröbming zum Fasching fuhr...

Etwas sollte mich auch einmal von dort wegholen und zu einer spannenden Reise nach Wien bewegen. 

Christoph ist ein guter Freund unserer Familie. Er ist Maler und schon über 50. Seit über 2 Jahren rang er mit Krebs. Doch jeder, der ihn traf, traf nicht einen leidenden Mann, sondern jemanden der eine tiefe Ruhe ausstrahlte. Das alles habe ihm geholfen, sich auf das zu konzentrieren, was wirklich von Bedeutung ist. In meiner Zeit in Wien besuchte ich ihn oft, wir saßen in seinem Atelier und philosophierten. Und er sprach und sprach vom Einfach sein und vom Langsam sein und vom Vertrauen. Er liebte es Dialekte nachzuahmen, manchmal kullerte ich fast vom Sessel, wenn er wieder den Tiroler zum Besten gab.. "Souwos deippads, isch a Trottl nen?"

Am 1. Januar 2018 starb Christoph als die ersten Feuerwerke abgeklungen waren. Nun war das Begräbnis und ich auf dem Weg nach Wien. Ich konnte nicht begreifen, dass er wirklich nicht mehr da war, ich wollte dabei sein um zu checken, was passiert war. Um die Leute zu sehen, die kamen und um Christoph "Tschüss" zu sagen. Er hatte keine Angst vorm Sterben, "wer wirklich lebt, der hat keine Angst vorm Tod". So versetzte mich der Partezettel, den die Familie verschickte noch einmal mehr in Staunen. Es war ein Bild darauf zu sehen, Christoph's Sohn hatte es gemalt. Es war ein Schmetterling zu sehen, er flog über einem Ast auf dem eine Raupe kletterte. Darüber schrieb er: 

"Das ist das Ende"

dachte die Raupe.

"Das ist der Anfang"

sagte der Schmetterling. 

 

Über den Friedhof von Perchtoldsdorf schien warm die Wintersonne als wir ankamen. Es hatte am Tag zuvor geschneit. Über die Musikboxen lief: Ground Control to Major Tom. Ein Lied von David Bowie, in dem es um einen Astronauten geht, der ins unbekannte Weltall aufbricht. Ein schelmischer alter Pfarrer hielt das Begräbnis ab. Immer wieder musste er schmunzeln, Christoph habe ihm als Mensch sehr gut getan, er schweifte in Erinnerungen. Er sprach nicht von Trauer. Er sprach von Hoffnung. Von der Raupe und vom Schmetterling. Von wirklichem Leben und Vertrauen. Dann ist das Begräbnis aus, doch noch etwas viel Verrückteres sollte passieren. 

Christoph's Sohn, er ist um die 12, ließ mit ein paar Freunden heliumgefüllte Luftballons steigen. Wir beobachteten sie, bis sie verschwanden. Dann geschah es: Irgendjemand hatte einen Schneeball geworfen. Es dauerte nicht lange und es entwickelte sich eine große Schneeballschlacht zwischen meinem Vater, einem Freund meines Vaters und mir auf der einen und Christoph's Sohn und seinen Freunden auf der anderen Seite. Wir duckten uns hinter Gräbern und befeuerten uns lauthals kichernd und lachend. Die Sonne schien über uns, ein paar Schneekristalle schwebten durch die Luft und funkelten. Sicher für 20 Minuten liefen wir herum, bis wir den Ausgang erreicht hatten, ein paar trugen Spuren davon, nasse Gesichter und Hosen, kalte Hände. Und ich dachte mir: Schöner, kann ein Begräbnis nicht sein. Christoph wäre sicher mit uns herumgetollt, hätte Schneebälle in alle Richtungen verteilt und verspielt gelacht.

 

Für die erste Woche des Februars hatte mein Chef ein Geschenk für mich: Ich durfte mit einer privaten Gruppe Kids skifahren gehen. Die 8 Kinder und Jugendlichen stammten aus Wien und ihre Familien waren gemeinsam auf Urlaub. Normalerweise ist eine Skikursgruppe ein buntes Sammelsurium von Kindern, die einander nicht vorher kannten. Hier taten sie es. Morgens holte ich sie mit dem Skischulbus vom Hotel ab und fuhr mit ihnen in andere Skigebiete, was ich auch noch nie gemacht hatte. Wir wurden allmählich zu einem Team. Wir sangen gemeinsam, redeten und lachten viel und fuhren so schnell, dass ich dabei 2 mal hinfiel. Sie fuhren alle besser als ich in ihrem Alter. 

 

Auch meine Mutter war auf Besuch, sie kam einmal von einem Skikurs in Zell am See zu mir, wie schön es war, sie wieder zu umarmen. Eine lustige Geschichte dazu: Ich grüßte beim Fahren jeden Liftwart, manche waren da sehr offen und freundlich, andere hielten sich eher zurück und blieben auf Abstand. Schließlich stand ich mit meiner doch recht jugendlichen Mutter beim Lift und da brach es aus einem eher zurückhaltenden Liftwart heraus: "Jo griaß di Florian, wen host'n do mitbrocht?" Als ich daraufhin erwiderte, das sei meine Mutter, sollte er mich für den Rest der Saison oft freudestrahlend begrüßen. Dann war meine Mutter noch einmal für einen Schulskikurs in Altenmarkt und ich besuchte sie und die Lehrer in der Jugendherberge. Es war schön die alten Lehrer wieder zu sehen, nun schon etwas mehr wissend, nun schon ein wenig erfahrener. Und ich dachte mir: Wie schön wäre es, mal Teil eines solchen Skikursteams zu sein. Die Kids eine ganze Woche zu begleiten, Tage und Abende gemeinsam zu gestalten...

Oft werden Träume wahr, denn eine Woche darauf klingelte mein Telefon, Professor Krobath war dran:

"Du, es ist folgendes, es ist uns jemand für den nächsten Kurs im März ausgefallen. Da haben wir an dich gedacht..."

Am 4. März also brach ich auf zum Skikurs der 2. Klassen auf die Planneralm, eine Stunde von Radstadt entfernt. Glücklicherweise konnte ich mir Urlaub von der Skischule nehmen. Eine Woche zusammen mit meiner Mutter und 5 anderen Lehrern, ca. 75 Schüler. Ich leitete an einem Tag die Fortgeschrittenen, an einem Tag die Anfänger, immer abwechselnd. Eine Schulgruppe ist um so vieles entspannender als eine Skischulkinderkursgruppe. Es ist persönlicher, freundschaftlicher. Ich stehe weniger unter Druck, dass die Kids etwas lernen, fahre viel mit ihnen im Gelände herum und wir genießen die Zeit zusammen. Am letzten Abend dann findet die altbekannte Skikursdisco statt in der das Duo Toth/Toth zeigt, dass es verwandt ist, indem es die Tanzbodendielen krachen ließ. Es war eine spannende und schöne Woche.

 

 

In dieser Woche wurde mir auch bewusst, dass es wieder Zeit wurde weiter zu gehen. Als ich in die Skischule zurückkomme erkläre ich dem Chef, dass ich noch 10 Tage bleiben möchte um dann weiterzugehen. Mit ein Grund war eine Anruf von Gernot Candolini, der mich einlud ihn ein paar Tage nach Frankreich zu begleiten. Was da wohl passiert, ich werde es sehen, es geht wieder los, ab ins Unbekannte!

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Kommentare: 6
  • #1

    Bettina (Dienstag, 20 März 2018 17:37)

    Wow flo deine Worte sind der hammer. Wünsche dir alles gute weiterhin und hoffe wir sehen uns wieder. Bist ein super Typ.lg Bettina mit den Twins und kevin.

  • #2

    Birgit (Dienstag, 20 März 2018 18:05)

    Lieber Florian,
    vielen Dank für Deine inspirierenden Worte und Danke, dass Du uns daran teilhaben lässt. Ich wünsche dir noch viel Freude und wunderbare Erfahrungen auf Deinem Weg. Pass auf Dich auf!
    Liebe Grüße aus Pinkafeld, Birgit

  • #3

    Silke (Dienstag, 20 März 2018 18:12)

    Danke floh für deine schönen Worte.
    Es war eine schöne Winter Saison mit dir und ich vermisse dein strahlendes Lächeln morgens wenn du das Büro betratest.
    Ich wünsche dir viel Spaß in Frankreich. Wir bleiben in Kontakt.
    Ich denke an dich lg Küsschen Silke

  • #4

    Iris (Dienstag, 20 März 2018 18:18)

    Super Flo, so schön verwortet! Fantastisch deine Geschichte zu lesen. Ich wünsche dir noch viel Spaß mit deine weitere Reise!

  • #5

    Florian (Dienstag, 20 März 2018 21:42)

    Liebe Silke, liebe Birgit, liebe Iris
    Schön, dass ihr die Zeilen gelesen habt und danke für eure Rückmeldung. Es freut mich sehr!
    Alles Liebe
    Florian

  • #6

    Lucia (Sonntag, 01 April 2018 20:47)

    Hi Flo,
    Klaus, Jonathan und ich waren in der Karwoche in Deutschland und sind mit dem Zug von Wr. Neustadt nach Ulm gereist und durch Radstadt gefahren. Dann hat ich an deine Skilehrerzeit und was mir Karina so erzählt hat denken müssen. Super, den Weg, den du gehst und ein bisschen beneide ich dich um dein Wanderjahr. Mach weiter so, Augen auf, Herz auf, liebe das Leben, das Leben liebt dich! Wünsch dir viele wunderbare Begegnungen mit wunderbaren Menschen in Frankreich! Freu mich auf ein Wiedersehen!
    Herzlich(t) st
    Luciq