Schaut euch das Ganze nicht nur mit dem Kopf an!

Die reise nach chartres

Das erkunden einer Kathedrale-eine unerwartete neugier

 

Es ist wieder drei Wochen her, dass ich in Innsbruck bei den Candolinis ankam. Am nächsten Tag sollte die Maschine nach Frankreich abheben. Gernot hatte mich gefragt, ob ich ihn nicht begleiten könne, um ihm zu helfen. Er hatte sich nämlich am Fuß verletzt und konnte sich nur eingeschränkt bewegen. Die Reise sollte nach Chartres gehen, eine kleine Stadt südlich von Paris, die bekannt ist für ihre große Kathedrale in der, und jetzt wird es spannend für uns, ein Labyrinth im Boden eingelassen ist. Gernot hatte in den Monaten zuvor eine Fotoausstellung zusammengestellt, über dieses Labyrinth, das weltweit nachgebaut wurde. Die sollte nun in Chartres von uns aufgehängt werden. 

Ich bekam ein gutes Abendessen in Innsbruck, danach schlug Gernot die Hände zusammen und grinste: „Also, jetzt host guat gessn, jetzt könn ma’s da sogn. I werd ned mitkommen nach Frankreich.“ Kurze Stille. „Es geht ned, dass i mitkomm.“ Es gab etwas, worum sich Gernot in Österreich kümmern musste. „Du fliegst alleine.“ Was für eine Eröffnung. Kurz bin ich doch recht verunsichert. Ich, alleine, nach Frankreich, ein unbekannter Ort, dort soll ich eine Ausstellung aufhängen, die ich nicht kenne, in einem Hotel, das ich nicht kenne. Hmmm, doch bald gewinnt der Ehrgeiz in mir. „Nagut, dann zeigma denen mal, was wir so allein draufhaben.“ Im nächsten Gedanken schon verurteilte ich mich für den Gedanken. Jedoch der Ehrgeiz und der Reiz einer spannenden unbekannten Aufgabe blieben.

Also erklärte mir Gernot am Abend vor dem Abflug alles, was zu tun war, welche Züge ich nehmen musste, wo ich die Bilder für die Ausstellung finden würde, wer meine Ansprechpersonen seien. 

Also hob ich am nächsten Tag von Innsbruck ab. Auf dem Weg Richtung Wien saß ich neben einer älteren Dame, die, wie sich herausstellte, Schwedin war, die aber schon ewig in Innsbruck lebte. Sie erzählt viel, wir reden über Gott und die Welt, Bildung und Menschen. Sie erzählt mir, dass ihr Mann vor einiger Zeit gestorben sei, aber es sei ok für sie. „Schließlich werden wir uns auf den grünen Wiesen bald wieder sehen.“ Die grünen Wiesen, das ist der Ort, an den sie nach ihrem Tod gehen wird, sagt sie. Wie schön das ist. 

 

 

 

In Paris angekommen steige ich in einen Zug Richtung Chartres. Dort komme ich am späten Nachmittag an. Die Kathedrale sieht man schon von weitem auf dem Hügel stehen. Das Hotel liegt gleich neben der Kathedrale und ich werde herzlich von der Putzfrau mit einem „Bonjour, Monsieur!“ begrüßt, das ich, gemäß meiner guten Sprachkenntnisse sofort mit einem „Ah, Bonjour Monsieur!“ erwidere. 

Oh, war da was falsch? Naja das sind die Anfänge im französischen, ich musste an eine Szene aus Mr. Bean denken: Da ist er in Frankreich in einem Restaurant und bestellt beim Ober.

Ober: Möchten Sie ein großes Wasser?

Bean: Oui.

Ober: Möchten Sie es mit Gas?

Bean: Non.

Ober: Sie spreschen sehr gut fransösisch!

Bean: Gracias.

 

Beim Bäcker werde ich einmal gefragt: „Zum hier Essen oder zum Mitnehmen?“, was ich als ein der Sprache Mächtiger mit einem knappen: „Oui“, beantworte, woraufhin die Bedienerin schmunzelt, sich zu ihrem Kollegen umdreht und ihn fragt: „Hast du das gehört?“

 

Aber soviel dazu, es sollte mit den Wochen und durch die Geduld einiger Gesprächspartner immer besser werden.

Ich war nun also in Frankreich, was für ein Sprung! Hätte ich mir das am Anfang der Reise träumen lassen? Als über der Kathedrale die Sterne erscheinen, frage ich mich, wie es wohl hier werden wird. 

Am nächsten Tag hänge ich die Bilder der Ausstellung auf, Gernot meinte, mir dabei sehr vertrauend: „Du musst da selbst a bissl a künstlerisches Auge entwickeln, wo welches Bild hinpasst.“ So verging also Stunde um Stunde in denen ich doch in einer gewissen Seelenruhe alle Bilder an ihren Platz brachte, auch, wenn das nicht ganz so easy war. Um 6 Uhr war dann die Ausstellungseröffnung geplant. Um Punkt 6, naja, 5 Minuten nach 6 hing dann das letzte Bild. Es waren insgesamt ca. 20 Fotographien gewesen. Alle zeigten sie das Labyrinth von Chartres, wie es auf der ganzen Welt nachgebaut wurde: In San Francisco, in Deutschland, Holland, Syrien... 

Es sind ein paar Leute gekommen. Vor ihnen verlese ich nun einen Brief von Gernot, und die Ausstellung wird eröffnet. 

 

 

Nun steht eine kleine Gruppe von 11 Leuten vor mir. Gernot hat eine Gruppe eingeladen, ihn nach Chartres zu begleiten, die meisten wussten schon durch eine Email, dass Gernot nicht kommen würde. Er kannte den Großteil der Menschen noch nicht. Geplant war, dass Gernot ihnen die Kathedrale zeigt, ihnen vieles erklärt. Er ist bekannt dafür unter den Leuten, dass er sehr viel darüber weiß und mit Begeisterung Geschichten erzählt. 

Jetzt war er nicht da. Natürlich waren da alle enttäuscht, aber ich war überrascht, dass keiner irgendwie wütend war. Sie nahmen es wahrhaft großartig auf und machten das Beste daraus. Gernot meinte, ich müsste mich nicht für die Gruppe verantwortlich fühlen, ich solle ihnen nur die Situation erklären und sie dann selbst erkunden lassen. Doch irgendwie fühlte ich mich doch verantwortlich und es reizte mich auch mit dieser Gruppe Zeit zu verbringen. Außerdem wusste ich, dass ich gerne Gruppen leite, also versuchte ich ein paar Sachen auf die Beine zu stellen. Schnell war am nächsten Tag eine Führung organisiert und auch für den darauffolgenden. Gernots Freunde in Chartres halfen mir dabei sehr. Am Freitag, dem Tag nach der Ausstellungseröffnung, wurden die Tore der Kathedrale für unsere Gruppe eine halbe Stunde früher geöffnet. Das hatte Gernot organisiert und es war ein großes Privileg, wir waren alleine in dieser riesigen Kathedrale, größer als der Stephansdom. Die Stille war unbegreiflich. Schnell räumten wir die Holzstühle beiseite, die das Labyrinth bedeckten, das im Boden eingelassen ist. 

Es ist für viele das Symbol eines Lebensweges. Ein Weg, der sicher ans Ziel führt, man muss nur gehen, es gibt keine richtigen und falschen Entscheidungen, bloß die Frage: Gehst du? So ging nun einer nach dem anderen in das Labyrinth, ganz ruhig, ganz langsam, jeder für sich. Es zieht sich ewig hin, bis man in der Mitte ist. Mal denkt man, man ist gleich da, dann ist man wieder fast am Startpunkt und schließlich merkt man ein wenig überrascht, dass man in der Mitte ist. Und da steht man nun, in der Mitte so vieler Kreise, die man gezogen hat, in dieser riesigen Kathedrale, fühlt sich gleichzeitig klein und groß, irgendwie geborgen, irgendwie richtig, irgendwie am Ziel. 

 

Das Labyrinth von Chartres
Das Labyrinth von Chartres

 

Nach einem guten französischen Frühstück bekommen wir eine Führung in der Krypta, das heißt den Katakomben der Kirche. Es ist spannend, wie die Menschen von dieser Kathedrale sprechen, ganz anders, als ich es gewohnt war. Es kommen wenige Jahreszahlen, wenige Bauarten, es kommen Zusammenhänge und Geschichten, die all den Dingen in den Räumen irgendwie Sinn geben, die verstehen lassen, was sich die Planer dieser Kathedrale gedacht haben und man denkt, was mussten die wohl alles gewusst haben? Und wie konnten sie es so genial in ein Gebäude integrieren, das alles irgendwie miteinander verbunden ist. Es gibt farbenfrohe Fenster, die Geschichten der Bibel erzählen, Steinfiguren ohne Ende, die alle nicht bloß so dastehen, sondern eine Bedeutung haben und einen Grund, weshalb sie gerade da angebracht wurden. 

 

Fast den ganzen Tag verbringe ich in der Kathedrale und denke mir: Wie schön. Freitag ist der Tag, an dem das Labyrinth freigeräumt wird, an allen anderen Tagen ist es nicht begehbar, nur Freitags. So sitze ich daneben und schaue den Menschen zu, die in das Labyrinth gehen, jeder auf seine eigene Weise, jeder irgendetwas darin suchend, und einige irgendetwas findend. Es ist das Gefühl wie auf einem belebten Dorfplatz, die Menschen begegnen sich hier, schauen fasziniert dem Treiben zu, gehen ins Labyrinth, kommen wieder heraus und setzen sich auf einen der Stühle und schauen ihren Gedanken nachhängend den anderen zu. Manche tauschen sich aus, es ist wunderbar, ein Ort, an dem Menschen sich treffen um für ihr Leben Antworten zu suchen, es wirkt alles sehr ehrlich. Wir brauchen mehr solche Plätze. 

 

Die Zeit verfliegt und ich bin erstaunt über mich selbst, wie sehr ich mich doch in dieser Kathedrale wohlfühle, wo ich doch dachte, mit Religion wenig am Hut zu haben. Wie schlecht ich mich da kannte. Da kamen viele Dinge wieder, die ich schon vergessen hatte und es tat gut, es tat gut, dieses Feld wiederzuentdecken, das ich in den letzten Jahren hatte dahinvegetieren lassen. 

 

Ich höre die Geschichte von Abbé Stock, einem Pfarrer aus Deutschland, der im 2. Weltkrieg in Frankreich war. Er begleitete Kriegsgefangene, zuerst französische, dann deutsche, begleitete über 1000 Menschen zu ihrer Hinrichtung, war ihnen ein Freund, half ihnen. In Chartres eröffnete er ein Priesterseminar für die deutschen Kriegsgefangenen, das sie darauf vorbereiten sollte, in Europa für den Frieden zu arbeiten. Ein interessanter Mensch. Kaum einer kennt seinen Namen in Deutschland oder Österreich.

 

Wir haben noch einige Führungen auf dem Dach der Kathedrale und drinnen, mit Hilde, einer Dame aus Deutschland, gehe ich in Chartres spazieren, schließlich lädt sie mich auf ein Essen ein und beweist, dass auch sie ein Sprachtalent ist: „Un aqua, per favor!“ Wir lachen herzlich darüber. Der Kellner wird zum Französischlehrer und bringt uns die wichtigsten Worte bei. 

An einem sonnigen Tag kaufe ich auf dem Dorfplatz eine gelbe Rose, für eine Dame, die uns gratis in der Kathedrale geführt hatte. Auf dem Rückweg kommt mir eine Dame entgegen, die meint, das sei eine schöne Rose, sie gibt mir ein paar Tipps, wie ich sie tragen solle und wo ich sie abschneiden solle, damit sie länger hält. Das find ich schön. Ich geh gerne mit einer Blume in der Hand spazieren. Es ist ein natürlicher Farbklecks im Alltagsleben der irgendwie die Leute anspricht, das habe ich auch schon in Wien gemerkt. 

Am Samstagabend essen wir alle gemeinsam in einer Pizzeria, lachen viel, tauschen Ideen aus und es tut mir sehr gut zu hören, dass die Menschen zufrieden waren, mit ihrer Zeit hier und auch mit meiner Organisation. 

 

Das Hotelzimmer ist bis Sonntag gebucht. Die Gruppe verabschiedet sich, wir freuen uns auf ein Wiedersehen. Ich hatte Gernot gebeten, meinen Rückflug erst für den 9. April zu buchen. Das heißt es liegen zwei Wochen in Frankreich vor mir. Es sollten mehr werden, das ahnte ich damals schon. Hab ich einen Plan? Ich mach mir einen: Im Osten von Frankreich gibt es einen kleinen Ort namens Taizé, dort möchte ich hin. Ich frage einen der Freunde von Gernot in Chartres, was ich tun kann. Sie verweist mich an einen Mann, der schon oft eine Wanderung in diese Richtung unternommen hat. Jean-Loup heißt mich in seinem Haus in Chartres willkommen, ja nimmt mich sogar für eine Nacht auf und erklärt mir das erste Stück meines Weges, aber dazu später mehr. Am Abend rufe ich noch einmal Gernot an und teile ihm mit: Mission accomplished. Wir lachen beide..

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Kommentare: 4
  • #1

    Silke (Montag, 09 April 2018 12:17)

    Genieße die Zeit
    Lg ���

  • #2

    Papa (Günter)(Inspirierter vom Sohn :::)))) (Donnerstag, 12 April 2018 16:53)

    Mein großer Reisender. Bitttttttte schreib mehr. Es tut sooo gut deine Geschichten zu lesen. Cèst tres manifique. haha. jetzt weißt von wem du die Sprachbegabung hast. oder doch nicht von mir? Na egal du hast einen wunderbaren weg hinter dir und ich freue mich, dich auf deinem weiterem Labyrinth zu begleiten. manchmal näher manchmal weiter entfernt aber immer mit dir in meinem herzen. Viel Spass

  • #3

    Maria - aus Willersdorf (Samstag, 14 April 2018 06:17)

    Es ist toll
    es ist wundervoll
    was du treibst
    was du schreibst �lieber Flo
    mach weiter so !!!

  • #4

    Gernot (Samstag, 14 April 2018 17:24)

    Bischt a cooler hund florian. Mach weiter so. Lg gernot