Les rêves sont très important!

Les rêves sont très important

Wandern nach Taizé

 

Der Pilgerschritt:

 

Der erste Schritt nach vorne ist Demut. Ich bin hier, ich will gehen und einfach Mensch sein

 

Der zweite Schritt nach vorne ist Loslassen, was man festhalten will. Sicherheit, Ansehen, Glauben, Dinge, Menschen.

 

Der dritte Schritt ist ein Schritt zurück: Empfangen, was einem gegeben wird. Was auch immer es sein mag.

 

 

Am 26. März wache ich in der früh auf. Ich habe Angst. Heute beginnt etwas Neues. Nach vier Monaten ohne Wandern, liegt nun eine offene Straße vor mir. 

Die Nacht habe ich bei Jean-Loup und seiner Frau in Chartres verbracht. Jean-Loup, selbst ein begeisterter Pilger, hatte mir am Vorabend allerlei Karten und Informationen für meine Reise gegeben. Ich frage, was ich ihm schulde. „Gar nichts, ich möchte, dass du Taizé erreichst.“ Er konnte Deutsch sprechen, weil er ein Jahr in Deutschland gelebt hatte. Nun bringen mich die 2 mit dem Auto einige Kilometer aus Chartres heraus zum Beginn der Reise. Wir verabschieden uns. In mir wächst nun immer mehr die Vorfreude auf diesen Weg, auf diesen so ganz unbekannten Weg. Vor mir liegt eine lange weite Straße, wie der Güterweg von Oberschützen nach Unterschützen, der mit dem Fahrrad so elends lang ist. Nur ist sie noch länger und die Felder um mich herum noch weiter, bis zum Horizont. Die Morgensonne durchdringt die schwachen Wolken. Da will ich gehen. Freiheit, Träume und Abenteuer warten. Mir fällt ein Lied aus „Herr der Ringe“ ein:

 

Die Straße gleitet fort und fort

Weg von der Tür wo sie begann

Hoch über Land von Ort zu Ort

Ich folge ihr so gut ich kann, ich folge ihr so gut ich kann

 

Ihr lauf ich raschen Fußes nach 

bis sie sich groß und weit verflicht

mit Weg und Wagnis tausendfach 

und wohin dann, ich weiß es nich,t und wohin dann ich weiß es nicht

 

Der Weg ist mir klar, Jean Loup meint: „Zwischen Chartres und Orléans ist es wie in einer Wüste, nur kleine Ortschaften, ich kenne jemanden, der genau in der Mitte wohnt, da kannst du schlafen, du solltest es am ersten Tag schon bis dorthin schaffen.“ Es sind 2 lange Etappen. Chartres und Orleans trennen ca. 70 Kilometer. Und immer wieder liegt eine lange, ewig lange gerade Straße vor mir. Wieder fällt mir Mr. Bean ein. 

 

 

Das hätte ich manchmal gerne versucht. Doch Frankreich ist hier auch sehr schön. „Die Kornkammer Frankreichs“ nennt sich diese Gegend. Am ersten Tag begegne ich einem Bauern, der mir einiges erzählt. Und ich begegne einem Bettler, der vor einem Supermarkt sitzt. Ich gebe seinem Hund ein Croissant und wir kommen ins Gespräch. Als er erfährt, dass ich zu Fuß unterwegs bin, will er mir vorschlagen, ihn zu begleiten, er meine er habe einen Platz zum Schlafen, doch das kommt mir komisch vor und ich verabschiede mich. Lange noch beschäftigt mich das Ereignis. Ich habe da in Augen geschaut, die nicht wirklich Hoffnung erkennen ließen. Die vielleicht nicht mehr viel von Liebe wussten. Wie können wir damit umgehen? Wieso gibt es das, dass es Menschen so schlecht geht, dass sie vielleicht andere ausnützen wollen, die ihnen gegenüber offen sind. Sollten wir weniger offen sein, will man uns am Ende doch nur ausnützen?  Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es Menschen immer schlechter geht, wenn sie ihre Augen vor anderen verschließen. Offene Augen zeigen einem Leid und bringen einen manchmal in Unsicherheiten, aber sie halten einen lebendig.

 

Das erste Ziel erreiche ich am Abend. Es ist eine schönes Haus, das von Valerie, Florent und Jean-Oed bewohnt wird. Jean-Oed ist ein wunderbar verspielter Junge, wir verstehen uns sofort. Er zeigt mir ihren Bauernhof, die Hühner, die Schaukel. Wir essen gemeinsam zu Abend und es beginnt eine gewisse Liebesbeziehung zwischen mir und dem Baguette, die lange andauern sollte. 

Der erste Tag war ein Tag voller Sonnenschein, kurzärmelig wanderte ich durch Frankreich. Der zweite Tag dann hielt etwas bereit, für das ich glaubte noch nicht bereit zu sein. Regen. Ich schaue in die Pfütze, die sich da vor dem Fenster gebildet hat. So war das aber nicht ausgemacht, Gott. Zuerst will ich nicht gehen, aber mein Gastgeber steht schon bereit um mich mit dem Auto ein paar Kilometer weiter zu bringen. Also gut.

Ich gehe auf einer alten römischen Straße. Und ich glaube auch, dass sie zur Zeit der Römer das letzte mal saniert wurde. Es ist ein Feldweg, bald kleben an meinen Schuhen dicke Erdstücke, der Wind kommt von der Seite, der Regen ist mal stärker, mal schwächer, ich trage Kapuze und eine Sonnenbrille, mit hellem Glas, ich fühle mich komplett abgekapselt von der Welt. Gehe einfach immer weiter. In meinem Kopf nur: Wann bin ich endlich in Orléans? Ich fühle mich schlecht. Nicht wohl, sehr fremd. 

Endlich mache ich eine Pause und frage mich etwas sehr wichtiges: Wieso laufe ich eigentlich so? Immer schneller, immer gestresster. Es war die Angst. Die Angst, dass ich mit dem Regen  nicht umgehen kann, die mich immer schneller und unbarmherziger gehen ließ. So will ich nicht weitermachen. Das Erste was mir einfällt, ist:

Geh langsamer.

Das tue ich und es beginnt sich etwas zu verändern. Dann beginne ich an schöne Dinge zu denken und endlich geht mir auf: der Regen vergeht auch wieder. Ich fühle mich um soviel wohler, stelle mich dem Regen in meinem Tempo. Ist es im Leben auch so? Wollen wir oft aus unseren Problemen rauslaufen, endlich am Ziel sein, das wir auf dem Weg ganz vergessen wir selbst zu sein, unser Tempo zu gehen. Die Art, wie wir unseren Weg gehen, bestimmt wo wir ankommen.

Und ich komme in Orleans an. Als die Sonne dann auch noch herauskommt singe ich: Here comes the sun, dudndudu...

 

 

An der Kathedrale von Orléans holt mich Hadrien ab. Kennt ihr das Gefühl, wenn man jemanden sieht und gleich komplett man selbst ist? Gleich unkompliziert lacht und redet. Alles an Hadrien sagte mir: Bienvenue! Willkommen. Sein Lachen, sein Interesse an mir als Mensch, seine Lebhaftigkeit ließen mich so entspannt und fröhlich werden. Er stellte mir seine ganze Familie vor, 4 Kids und seine Frau Elodie. Und es sind wundervolle Kids, sie bringen mir französisch bei und wir jonglieren gemeinsam.

Am Tisch habe ich ein Gespräch mit Hadrien. Wir reden über Träume. Traum bedeutet auf französisch: rêve. Hadrien meint, und das höre ich ihn heute noch sagen: Les rêves sont très important! Die Träume sind sehr wichtig. Er hat immer davon geträumt eine Familie zu haben, er hat immer davon geträumt bei seiner Arbeit Menschen zu helfen. Und siehe da, er hat eine Familie, er kann bei seiner Arbeit Menschen helfen. Und man sieht es in seinem Gesicht, in seinem ganzen Wesen, dass er seinem Traum gefolgt ist und dass er ihm Kraft gibt.

Am nächsten Tag trenne ich mich nur ungern von der Familie. Ich kaufe mir ein Buch. Gedichte von Ingeborg Bachmann, Deutsch und Französisch. Ein Gedicht daraus bleibt bei mir hängen, weil es auch zu einem Motto meiner Reise passt.

 

In einem Wasser, das längst zugefroren

hör ich noch eine Sommerwelle gehen

an einem Himmel, den ich schon verloren

seh alle Tage ich noch Sterne stehen

 

Von einer Sonne leuchten meine Wangen

und noch einmal will auch mein Mund erglühen

und aus dem Traume, der schon lang vergangen

beginnen alle Rosen neu zu blühen

 

Unter einer Brücke, weil es regnet, habe ich ein interessantes Telefonat mit der Auskunft von TeleRing. Wir finden keinen Weg, das Internet auf meinem Telefon zum Laufen zu kriegen. Naja was solls, ich mag Karten sowieso mehr. Der Weg führt über einen Steg, der zwischen einem Kanal und dem Fluss Loire auf einer Mauer verläuft, ein einsamer Weg, der sich durchs Wasser schlängelt. Es regnet, doch heute sind die Regentropfen wie kleine zarte Berührungen. 

 

Ein Bild in Hadrien's Haus.
Ein Bild in Hadrien's Haus.

 

Ein Pastor vermittelt mich an ein älteres Ehepaar, das mich bei sich für eine Nacht aufnimmt. Die Kirche in Frankreich sollte mir noch sehr oft helfen. Brigitte und Pierre wollen viel von mir wissen, Brigitte ist eine ganz und gar lebhafte Frau. Es tut gut bei ihnen zu sein. Ich lese Asterix auf Französisch. Am nächsten Tag geht es der Loire entlang. Ein wunderbarer Fluss. Ich entdecke eine Sandbank, die grün bewachsen ist, lege meinen Rucksack am Ufer ab und laufe über die Halbinsel, ich will sie entdecken, frei sein, über sie fliegen. Finde kleine Wasserteiche mit Muscheln, verschiedene Bäume und Fußspuren im Sand. 

In einem Ort namens St. Denis mache ich Pause, schlafe auf einer Mauer am Fluss, rede mit einem Mann, gehe weiter. An manchen Zeiten des Tages fühlt man sich einsam. Hat Angst. Das Gute beim gehen ist, dass wenn man einfach weitergeht und nicht stehenbleibt, man am Ende immer ankommt. 

Der beste Weg einen Traum zu erreichen, ist im Gehen auf ihn zu warten.

 

Ostern darf ich bei einer wundervollen Familie verbringen. Durch eine engagierte Mitarbeiterin in einem Fischereimuseum komme ich in Kontakt mit Janette und Gabriel. Für vier Nächte nehmen sie mich auf. Das war nicht geplant, lag aber an einem Projekt, das Janette zurzeit engagiert vorantreibt. „La Maison de la Transition“. „Das Haus der Veränderung“ möchte ein Treffpunkt sein für Ideen, die die Stadt auf einen spannenden Weg bringen. Richtung erneuerbare Energien und mehr gelebter Gemeinschaft. Sie wollen ein Kaffeehaus betreiben und einen Co-Working Space. Es ist alles im Entstehen, als ich ankomme, das Haus gibt es schon,

eine Gruppe engagierter Leute auch. Sehr spannende Leute, sehr offen, fröhlich und energiegeladen. Wir malen den Innenraum gemeinsam aus und ich putze die Fenster. Danach gibt es ein großes Festessen. Am Abend veranstaltet Janette einen kleinen Kreuzweg für die Romakinder des Ortes. 

 

 

Am Ostersonntag geht es weiter, es folgt eine Nacht in einem Benediktinerkloster an der Loire und eine Übernachtung bei einem Ehepaar, das die selben Namen hat, 

Dominique & Dominique. Täglich gehe ich an die 20 Kilometer. Es ist spannend, wie mich die Menschen immer wieder weiterreichen. Sie rufen Freunde an, die mich dann wiederum beherbergen. Es sind Bauernhöfe, Familien in der Stadt, Familien am Land... 

Ich musste an einen Satz denken, den Kabarettisten oft am Ende ihres Programmes zum Besten geben: „Wenn es euch gefallen hat, empfehlt mich an eure Freunde weiter, wenn nicht, vielleicht kennt ihr jemanden, den ihr nicht so gern habt...“

Als Wanderer erhält man so oft Hilfe, dass sich einem irgendwann die Frage stellt: 

„Ja, kann ich denn den Leuten auch etwas geben, oder empfange ich nur?“ Ich meine, um sich an einem Ort wie zu Hause, oder zumindest wohlfühlen zu können, sollte man sowohl geben als auch nehmen können. So suchte ich immer wieder nach dem, was ich denn den Leuten brachte, wenn ich da war und mir fielen ein paar Dinge ein:

1. Ich bringe Leute wieder miteinander in Kontakt. Alte Bekannte kommen wieder in Kontakt, weil der eine mich gerade an den anderen vermittelt hat.

2. Ich kann den Menschen andere Geschichten erzählen, als sie es gewohnt sind zu hören. Ja im besten Falle kann ich sie motivieren und inspirieren, ich weiß nicht, ob mir dies hin und wieder gelang, ich war auch sehr viel mit mir selbst beschäftigt.

3. Es tut uns Menschen sehr gut, wenn wir wissen, dass wir helfen konnten. So gab ich immer wieder Menschen die Möglichkeit, großzügig zu mir zu sein. Das klingt jetzt etwas komisch, sie geben mir etwas und dafür sollten sie mir vielleicht auch noch dankbar sein? Naja ich meine, dass wir zurzeit die Möglichkeiten uns einzubringen nicht so offen sehen können. Der Umgang mit armen, alten, hilfesuchenden Menschen ist in vielen Fällen so in die Hände professioneller Organisationen gelegt, dass wir den Kontakt zu dieser im Menschen so tief verwurzelten Eigenschaft, dem Helfen, nicht oft gebrauchen. Wenn wir uns untereinander helfen, entsteht Sicherheit, entsteht Gemeinschaft, die uns tragen kann. Einem anderen Helfen ohne eine Gegenleistung zu erwarten schenkt beiden Seiten etwas sehr Menschliches, das uns verändert, unser Vertrauen zu den Menschen und zum Leben stärkt. 

 

Manchmal, wenn das Wetter mal wieder verrückt spielt, fühlt sich das Alles wie eine schlechte Pointe an. Dann schmunzelt man und fragt Gott, ob er nicht ein bisschen kreativer sein könnte...
Manchmal, wenn das Wetter mal wieder verrückt spielt, fühlt sich das Alles wie eine schlechte Pointe an. Dann schmunzelt man und fragt Gott, ob er nicht ein bisschen kreativer sein könnte...
Sie sprachen mich auf der Straße an, gaben mir Unterkunft und wir veranstalteten einen kleinen Zirkus. "Nous faisons du Cirque!"
Sie sprachen mich auf der Straße an, gaben mir Unterkunft und wir veranstalteten einen kleinen Zirkus. "Nous faisons du Cirque!"

 

Es waren eigentlich soviele Dinge auf dieser Wanderung los und soviele Geschichten, dass jede einen Blog füllen könnte. Beispielsweise sprach mich einmal auf der Straße aus dem Nichts eine Frau an und fragte mich, ob ich eine Unterkunft suche. So durfte ich bei ihr und ihren vier Kids übernachten. Ihre Tochter feierte Geburtstag und da packte ich alle Clownsachen aus, schenkte ihr eine Nase und wir hüpften und jonglierten im Wohnzimmer herum. Kicherten und glucksten.

Eine Frau nahm mich mit ins Theater. 

An meinem Geburtstag war ich in Vezelay, einer kleinen mittelalterlichen Stadt und der Hund der Familie, bei der ich schlief, hatte am selben Tag Geburtstag, die Mutter hat einen Kuchen gebacken, der Hund bekam nichts davon.

Ich schlief in einer Wohnung eines Sozialzentrums, in Gemeindesälen und Klöstern. In all den 3 Wochen, die ich unterwegs war, musste ich nur einmal ein Hotel bezahlen, ansonsten fand ich immer einen Platz unter Dach.

Ich traf ein Ehepaar aus der Schweiz, das seit der Pensionierung vor mehr als 10 Jahren mit einem Schiff die Kanäle und Meere Europas unsicher macht.

Frankreich war sehr nett zu mir und schließlich hieß es eines Abends im Osten Frankreichs:

Ja, Taizé kannst du morgen erreichen. 

Was?! 

 

Die mittelalterliche Stadt Vezelay thront auf dem Hügel
Die mittelalterliche Stadt Vezelay thront auf dem Hügel
Ein Benediktinerkloster in dem ich schlief
Ein Benediktinerkloster in dem ich schlief

 

Man denkt mal mehr, mal weniger an sein Ziel während man unterwegs ist. Und dann ist man plötzlich kurz davor, vor diesem Ort, der einem immer wieder Kraft gab weiterzugehen. Ich gehe morgens los, und zögere. Bin ich bereit, dort heute anzukommen, sollte ich mich nochmal rasieren? So ist der Traum zum Greifen nah, doch die Trompeten und Fanfaren bleiben aus und man geht mit einem leichten Kribbeln im Bauch in den morgendlichen Nebel hinein. Auf einer stillgelegten Eisenbahnlinie, die man zubetoniert und zu einem Radweg gemacht hat, gehe ich los und weiß, dass 35km weiter Taizé liegt. Wieder einmal brauchte ich nur zu gehen und nach dieser Etappe würde ein Traum wahr geworden sein. Und nun, nach 3 Wochen des Gehens, wurde er wahr.

Les rêves sont très important!

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Maria aus Willersdorf (Freitag, 18 Mai 2018 07:10)

    Heute sage ich einfach nur
    D A N K E !
    Es ist wunderbar, wie du das Erlebte formulieren kannst.