Lernen ruhig zu bleiben, oder wenn das Leben langsam spielt

Lernen ruhig zu bleiben                 oder wenn das leben langsam spielt

Ein schleppender start in etwas neues

Vier Tage waren nun vergangen, die ich zu Hause verbracht hatte. Am Sonntag war die Firmung meiner Cousine. Es war schön, all die Leute wieder zu sehen und gleichzeitig hinderte mich etwas, mich vollkommen in ihre Arme fallen zu lassen. Ich wusste nicht, wie es weitergehen würde. Der Spruch, den meine Cousine zu ihrer Firmung von ihren Eltern bekam, war: „Der Herr ist mein Heil und mein Licht, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen?“ 

Ich wünschte mir, ich hätte dieses Vertrauen gerade. Jetzt war ich also einmal wieder zurück. Am Beginn der Wanderschaft hatte ich Alpträume davon, nach Hause zu kommen und zu merken, dass es noch nicht Zeit dafür war. Aber wann ist es Zeit? Jetzt war ich hier. Ich fühlte mich nicht besonders verändert, durch all die Zeit, die vergangen war, ja erlebte Dinge ziemlich ähnlich wie zuvor. Was war da los? Schließlich hatte ich doch Dinge gelernt auf dem Weg. Hatte Herausforderungen gemeistert, war gewachsen, war mal niedergeschlagen, mal sehr gut drauf, hatte ein paar Dinge erlebt. Wo stand ich nun und was sollte ich tun? Ich fuhr nach Wien, ich hatte einen Termin mit „Jugend Eine Welt“. Es ging um eine Zusammenarbeit bei den Clownworkshops. Wir einigten uns, dass ich von ihnen unterstützt im Mai und Juni in Tirol unterwegs sein würde um Clownworkshops zu geben, machten ein kurzes Fotoshooting und gestalteten einen Flyer. Jugend Eine Welt ist eine Hilfsorganisation die unter dem Motto „Bildung überwindet Armut“ arbeitet. Sie unterstützen Projekte auf der ganzen Welt, die hauptsächlich Kids und Jugendliche von der Straße holen und ihnen andere Möglichkeiten bieten sollen. Sie schicken auch Freiwillige aus Österreich in die verschiedenen Projekte. Reinhard, der Leiter, hatte mich im Frühjahr angerufen, weil er auf meine Webseite gestoßen war und mir von seiner Idee erzählt, dass wir zusammenarbeiten könnten. „Wandern für eine Welt“ oder so. Das klang toll. Mich mehr dem widmen können, was mich oft antreibt. Mich auf die Clownworkshops fokussieren zu können. 

 

Der Flyer, der die Workshops bewerben soll
Der Flyer, der die Workshops bewerben soll

Das waren wunderbare Träume, doch die Zeit, bis das alles anlief war eine unsichere für mich. Ich stand nun also vor dem Jugend Eine Welt Büro und wusste noch nicht wo schlafen, was tun? Und da auf einmal schoss mir ein: Ich werde morgen noch keinen Workshop in Tirol geben können, das braucht Zeit, bis die ersten Termine geplant sind, vielleicht dauert das jetzt zwei Wochen, bis es beginnt. Verdammt, das hatte ich nicht bedacht. Was mache ich denn jetzt bis dahin. Ich will immer etwas Nützliches tun, etwas, das Früchte trägt, etwas, das wachsen kann. Und jetzt? Jetzt weiß ich nicht, was ich tun kann. Total verunsichert gehe ich durch Wien. Bleib mal stehen, setz mich wo in den Schatten eines Baumes, schau herum und weiß immer noch nicht, was soll ich tun? Es ist schräg, ich habe die Freiheit, alles zu tun, was ich will und fühl mich in all dieser Freiheit wieder wie ein Gefangener. Gelähmt durch all die Möglichkeiten. Antriebslos. Gott sei Dank ist Papa gerade in der Nähe von Wien und kommt mit Linda auf einen Kaffee. Ihm klage ich meine Geschichte und er fragt nur: Worauf hast du Lust? Ich: Wellenreiten.

Papa: Na dann, mach das doch. Das klingt gut und gibt mir einen Anhaltspunkt. Ich schlafe bei Freunden unserer Familie in Perchtoldsdorf bei Wien. Checke Zugtickets nach Südfrankreich und will eine Unterkunft buchen. Da läutet das Telefon und Wolfgang Quintero ruft mich an, jemand, der für Jugend Eine Welt in Innsbruck arbeitet und mit dem ich hauptsächlich die Workshoptermine absprechen sollte. 

„Nun, es gibt eine Anfrage für Montag, also in einer Woche. Kannst du da schon hier sein?“

Also kein Wellenreiten, kurz bin ich enttäuscht, dann doch erleichtert, keine riesige Reise mit Bus und Zug machen zu müssen. 

 

Wenn etwas altes aufhört und etwas Neues beginnt ist dazwischen oft eine Phase, in der nicht viel geschieht. Wie wenn Tarzan nach der nächsten Liane greift, die Alte schon ausgelassen, die Neue aber noch nicht ergriffen hat. Ein bisschen griff ich schon nach ihr.

Zwei Tage lag ich noch in Perchtoldsdorf auf der Couch und las Harry Potter. Ich fühlte mich unnützlich, aber irgendwie auch wohl und brauchte das auch anscheinend. Dann brach ich auf. Ich wollte noch ein paar Tage auf Burg Finstergrün verbringen, bevor ich nach Tirol weiterfuhr. 

Ich kam auf der Burg an, als noch keiner da war, eine Nacht sollte ich alleine dort verbringen. Irgendwie war ich noch recht verunsichert und hatte Angst, für mich allein eine Nacht auf der Burg zu sein. Weniger hatte ich Angst vor der Burg, ich hatte Angst vor meinen eigenen Gedanken, die sich in dieser Zeit, wo ich die Liane noch nicht greifen konnte, um viele alte Ängste drehten. Doch als ich auf den Burgmauern saß und dem Sonnenuntergang hinterher sah, legte sich dieser Sturm ein wenig und ich konnte etwas klarer sehen.  Als ich am nächsten Tag zu einer kleinen Wanderung in die Berge hinter der Burg aufbrach erlebte ich den Vorteil, den solche „Zwischenphasen“ haben. Man wird kreativ und findet neue Ziele.  Ich entschied dort oben im Wald des Murtales einige Dinge, die noch unklar waren und fand den ein oder anderen Traum, den ich anpacken wollte. Wie dankbar ich war, für jede dieser kleinen Ideen. Sie gaben mir Zuversicht und Halt in diesem Moment. Eigentlich komisch. Brauchen wir wohl immer wieder neue Ziele, um zuversichtlich den weiteren Tagen zu begegnen. Können wir nur dann entspannt sein, wenn wir die Zügel in der Hand haben und guten Zeiten entgegentraben. Können wir auch ohne zu wissen was kommt zufrieden und gelassen sein? Ich hab es jedenfalls noch nicht gelernt. Schreibt gerne unten ein Kommentar, was ihr dazu meint.

Jedenfalls war ich nun besserer Laune, bald kamen Leute auf die Burg, ich gab Burgführungen, half beim Ausschenken und teilte Essen aus. Es war eine Gruppe Ritter auf der Burg. Sie kämpften tagsüber wild durch die Burghöfe, des Nachts kämpften sie mit dem Bier. Es war schön sie kennenzulernen. Alle gaben sich Namen und Charaktere aus dem Mittelalter und erklärten mir gerne die Geschichten dahinter. Schnell zog ich mir auch etwas Altertümliches an und erzählte meine Geschichte vom „Florian von Gols“, ehemals Mundschenk des Kaisers von Österreich-Ungarn. Einer der Ritter nahm mich nach 4 Nächten auf der Burg mit dem Auto mit bis Bischofshofen, von wo es nach Innsbruck ging. Im Zug traf ich ein wundervolles Mädchen und wir redeten die ganze Fahrt über, über alles. Es war auch eine ältere Dame neben uns und wir teilten die Zeit gemeinsam. Das war schön. In Innsbruck schlief ich bei Elmar, einem Freund von mir und Gernot, mit dem ich damals im November die Skitour gemacht hatte. Es war so schön ihn wieder zu sehen. Am nächsten Tag dann der erste Workshop in der 1. Klasse der Volksschule Hötting. Wieder sprangen wir herum. Manches funktionierte gut, manches weniger. Danach schlugen wir noch auf dem Pausenhof Räder und machten Seifenblasen. Irgendwie war ich nicht ganz sicher, ob es gut gelaufen war. Aber die Kids hatten Freude daran. 

 

Dann hatte Wolfgang eine Bleibe in einer Jugendherberge für mich organisiert. Ich genoss das Nichtstun und hörte ein Hörbuch, „Momo“ von Michael Ende.

Am nächsten Tag stand gar nichts auf dem Programm. Irgendwie konnte ich damit dann umgehen, dass nichts los war. Am Tag darauf war ein Besuch in einem Altersheim geplant. Um Gottes Willen, dort sollte ich auftreten als Clown, das hatte ich noch nie gemacht. Irgendwie zimmerte ich eine kleine Nummer mit einer Plastikblume zusammen, in die ich mich verliebe. Und es funktionierte. Das hatte ich nicht gedacht. Und spontan ergaben sich kleine Dinge in der Interaktion mit den Menschen im Altenwohnheim. Die Leiterin führte mich von Aufenthaltsraum zu Aufenthaltsraum. Dort spielte ich ein wenig und manchmal ergaben sich tolle Sachen. Einmal kam ich sogar dazu Gedichte zu rezitieren, ach, wie ich das genoss da zu stehen und ein paar Rilke-Gedichte runterzuschmettern. Ich hatte Angst davor gehabt dorthin zu gehen, das hätte ich nicht müssen, die Leute genossen es, es war ein kleiner Farbklecks, etwas Schräges, etwas Herzliches. 

Zweimal ging ich für je eine Stunde ins Altersheim. Einmal heiratete ich fast, einmal erschrak eine Pflegerin fast zu Tode als sie mich sah, sie habe Angst vor Clowns, einmal tanzte ich mit einer Dame... Jedes Mal hatte ich Angst davor gehabt, jedes Mal hat es doch funktioniert. Am Freitag gab es dann noch einen Workshop in einem Kindergarten in Innsbruck, der unglaublich wundervoll war, von Beginn an lief es. Nachher kam eine Pädagogin zu mir und meinte: „Das eine Mädchen, das habe ich noch nie so erlebt. Normalerweise ist sie sehr zurückhaltend und schüchtern, ihre Familiengeschichte ist auch nicht ganz einfach, doch als sie diese Nase aufsetzte, da war sie jemand anderes. Machte mit, war da und lachte.“ Das beflügelt mich. 

Danach trug mich der Zug zurück ins Burgenland, ich stand am offenen Fenster des Zuges, als der durch das Wechselgebiet fuhr, es war warm und die Sonne stand schon tief. Linda’s Konfirmation stand auf dem Programm. Es sollte ein buntes Fest werden, aber dazu später mehr.

 

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